Als ich diesen Sommer in der Neuen Gemäldegalerie in Graz landete, blieb ich überrascht – zum einen hat mich die Dame, die uns durch die Dauerausstellung geführt hat, mit ihren Erzählungen nachhaltig beeindruckt, zum anderen haben mir die Menge und Vielfalt der ausgestellten Werke deutlich gemacht, dass ich mir für Galerien wirklich mehr als zwei Stunden einplanen sollte. Deshalb habe ich danach auf der Website der ÖBB einen „Nachholtermin” gebucht und die Ausstellung „Es gibt allerdings Unaussprechliches” sogar im Rahmen einer Führung besucht.
Ich muss zugestehen, ich war ziemlich neugierig, was man eine Stunde lang über schöne, aber auf den ersten Blick nichtssagende, bunte Kritzeleien erzählen kann. Als ich meiner Mutter von meinem ersten Besuch erzählte, fühlte ich mich ein bisschen wie der slowakische Präsident Peter Pellegrini, den “riesige bunte Bilder mit positiver Energie” bei einer Ausstellungseröffnung fasziniert haben.
Sehr schnell stellte sich heraus, dass auch der Rest unserer Gruppe keine Kunsthistoriker waren. „Viele Farben“, „dynamisch“, „fröhlich“ lauteten die Antworten auf die Frage nach unseren Eindrücken, die den Abschluss einer Mini-Aufgabe von Dalia bildete, einer zweiminütigen Wahrnehmungsübung, bei der wir eines der Werke im ersten Raum betrachten sollten. „Diese Bilder sprechen mich extrem an, aber ich kann nicht sagen warum“, sagte die Dame vor mir.
Solches Wirken auf Emotionen ist hier nicht ganz zufällig – Hollegha kann man irgendwo zwischen dem Informellen (der europäischen Version des abstrakten Expressionismus, zu dem beispielsweise Jackson Pollock gehörte) und dem Color Field Painting einordnen, für die beispielsweise Helen Frankenthaler bekannt war. Wie auch in der Beschreibung der Ausstellung zu lesen ist, empfand Hollega seine Werke im Gegensatz zu den informellen nicht als ausgesprochen flach, ganz im Gegenteil – sie öffnen Räume, sie zeigen die Gegenstandswelt völlig anders, höchst subjektiv. Auch Dalia behauptet, dass sie über die Räumlichkeit der Werke diskutieren könnte, und weist darauf hin, dass einige Farbtöne als Schatten wahrgenommen werden könnten.
Dank Hollegha habe ich erfahren, dass es in der abstrakten Kunst mehrere Arten der Abstraktion gibt, wobei es sich nicht direkt um Abstraktion im informatischen Sinne handelt (Grüße an Herrn Professor Puntigam an der TU Wien), sondern eher um eine einfache Bezeichnung für nicht-konkretes Schaffen. Eine Möglichkeit der Einteilung besteht darin, zwischen einer gegenstandslosen und gegenstandsbezogenen Abstraktion zu unterscheiden.
„ Als ich einige dieser Vorlagen zum ersten Mal auf Fotos sah, fragte ich mich, was diese dunklen Stellen zu bedeuten hätten, und dann wurde mir klar, dass es Schmutz ist“, sagt Dalia. In einigen Fällen konnte diese intensive Beobachtung Jahre dauern, selbst wenn es sich um das Spielzeug des eigenen Kindes handelte (Pech gehabt halt!). Die kleinen Holleghas mussten zwar nicht befürchten, dass ein Geschwisterkind ein Auge auf ihr Spielzeug werfen würde, aber sobald die Muse ihren Vater ereilte, konnten sie dieses Objekt vergessen – es durfte nicht mehr angerührt werden.”
„Auch wenn die Werke auf den ersten Blick zufällig und impulsiv wirken mögen, war Hollega ein sehr kontrollierter und dezidierter Künstler“, sagt Dalia und fügt hinzu, dass der Autor in seinem Leben nur etwa 1000 Bilder gemalt hat, was in der Welt der Kunst wirklich nicht viel ist.
Man kann auch erkennen, wie sich das Hören von Bach in seinem Werk widerspiegelte. In den Bildern finden wir keine dominante Farbe, ähnlich wie in Bachs Kompositionstechnik des Kontrapunkts, bei der zwei oder mehr unabhängige (oder, wie Dalia es ausdrückt, gleichberechtigte) Melodien gleichzeitig miteinander verbunden werden und ein harmonisches Ganzes bilden. Apropos Gleichberechtigung: Gerade Holleghas Frau spielte bei seinem Schaffen eine wichtige Rolle, da sie oft entschied, wann ein Bild fertig war und wann nicht.
In dem Saal mit Bildern mit gleichberechtigter Anwendung von Farben erfahren wir außerdem, dass der Künstler die Farben zusätzlich mit gesundheitsschädlichem Terpentin verdünnt hat. Aus diesem Grund hatte er in seinem Atelier 15 Meter hohe Fenster, und ich werde nicht lügen, beim Anblick der großen, märchenhaften Glasfläche seufzte ich neidisch. Der Bauernhof, in dem er einen Großteil seines Lebens wirkte, befand sich in Rechberg, 20 km nördlich von Graz, weshalb sich auch die hiesige Neue Gemäldegalerie mit Hollegas Werk beschäftigt.
Ein internationaler Künstler?
Es wäre keine richtige Führung, ohne dass jemand nach dem Preis fragt. „Ich weiß nicht, wie viel das teuerste Bild kostet, aber ich kann Ihnen sagen, dass keines der ausgestellten Werke für weniger als 150.000 € versichert ist“, antwortete unsere Führerin einem neugierigen Besucher. Nicht nur um Geld, sondern auch um Ruhm ging es einer anderen Besucherin, die wissen wollte, ob man Hollegha als internationalen Künstler bezeichnen könne. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, am Anfang sicherlich ja“, antwortet meine slawisch klingende Bestie und verweist auf die Einladung nach New York von Clement Greenberg aus den späten 50er Jahren. Und um ein wenig internationale Anerkennung wird sich vielleicht auch ein so großer Blogger wie ich kümmern, hehe.
Wenn ihr Hollegha noch in Graz erwischen wollt, dauert die Ausstellung bis zum 2.11.2025, anschließend beginnt am 15.3.2026 die Ausstellung „Denk nicht, schau!” im deutschen Wiesbaden.
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